Mittwoch, 13. Januar 2021
Depression und mein Umgang damit
u_blues, 09:59h
Hallo, ich bin U_Blues und depressiv. Trotzdem kriege ich meinen Alltag ganz gut geregelt. Ich schreibe hier mal auf, was sich für mich bewährt hat. Das hat KEINEN Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber vielleicht können andere Betroffene etwas davon mitnehmen.
1. Nutze die Hochs, respektiere die Tiefs.
An guten Tagen nutze ich die Energie und sorge sozusagen für schlechte Zeiten vor. Ganz oben auf der Liste steht dann Sport, vorzugsweise Laufen, weil ich festgestellt habe, dass mir das wirklich enorm hilft. Ebenso erledige an solchen Tagen verstärkt Haushaltsarbeiten, putze, koche vor, mache Wäsche, räume meinen Kram weg. Was gemacht ist, ist gemacht.
An schlechten Tagen schalte ich hingegen in einen Notbetrieb. Je nach Stimmungslage und Energie fallen Dinge weg oder werden an andere delegiert. Als erstes Haushaltsdinge, die verschoben werden können, als zweites soziale Verpflichtungen (gut, da gibt es in der Pandemie momentan nicht viel), als drittes Arbeit (im Sinne von Krankenschein) und als letztes Care-Arbeit.
In den letzten 5 Jahren bin ich lediglich bis zur Stufe Arbeit gekommen, und das auch nur kurz. Meist reicht es, Haushaltsdinge zu verschieben und mich abends ruhig mit einem Buch aufs Sofa zu hauen und eine halbe Stunde zu meditieren. An schlechten Tagen wird nicht geputzt, nicht gekocht und nur Wäsche gemacht, wenn wir sonst nichts zum Anziehen haben. Weil ich ja aber an den guten Tagen vorgesorgt habe, merkt man meist davon nichts, da entweder vorgekocht wurde, was in der Tiefkühltruhe oder im Vorrat ist, die Wäsche nicht überquillt und eh eine Grundordnung und Sauberkeit vorhanden ist. Das hilft mir auch, viel gelassener mit schlechten Tagen umzugehen, weil ich weiß dass höchstwahrscheinlich gar nichts hinten runter fällt, wenn ich mal einen Gang zurück schalte. Auch meinem Kind schadet es nicht, wenn es mal länger fernsehen darf, weil ich einfach zu platt bin um weiter zu spielen. Dafür wird dann an den guten Tagen wieder mehr gemacht.
Kraftakte an schlechten Tagen reißen oft für längere Zeit ein Loch in die Energiebilanz und sind daher zu vermeiden.
2. Ein Zusammenbruch ist mit allen Mitteln zu verhindern
Selbst wenn ich durch Krankenschein in der Probezeit meinen Job verliere, selbst wenn ich Beziehungskrach riskiere, selbst wenn ich mal ein paar Tage absolut egoistisch sein und zum Meditieren in ein Kloster fahren muss und mein Kind mich dann vermisst - das ist alles immer noch besser als ein Zusammenbruch. Denn dessen Konsequenzen sind in der Summe viel, viel schlimmer. Um letztes Jahr einen Zusammenbruch zu verhindern, habe ich mich krankschreiben lassen, bin ein Wochenende alleine weg gefahren, habe vorübergehend Arbeitszeit reduziert und sogar den Job gewechselt. Das war alles sehr risikobehaftet, aber immer noch besser als ein Zusammenbruch. Ich hätte auch wieder Medikamente genommen, wenn es nötig gewesen wäre. Einen Zusammenbruch mit stationärem Aufenthalt hatte ich schonmal, möchte ich nie wieder.
3. Stressoren, Frühsymptome, Gegenmaßnahmen identifzieren, Prioritäten setzen
Das hängt zusammen mit den ersten zwei Punkten. Ich habe eine Liste, wo wirklich brutal und ehrlich drauf steht was mir nicht gut tut, woran ich das merke und was dann zu tun ist. Derzeit bedeutet die Anwendung dieser Liste, dass ich Alkohol bis auf ganz besondere Gelegenheiten komplett gestrichen habe, weil ich einsehen musste, dass es mir überhaupt nicht gut tut. Das ist zwar hart und ich fluche alle paar Tage darüber, aber die Kosten- Nutzen- Rechnung geht einfach gar nicht auf. Ebenso bedeutet das, social media zu regulieren. Gehe ich abends am Handy scrollend ins Bett und greife ich morgens als erstes wieder zum Handy und scrolle durch die nächsten Katastrophen, hilft das nicht, im Gegenteil. Also wird das Smartphone abends um 20 Uhr ins Regal gelegt und erst morgens nach dem Frühstück wieder rausgenommen. Bemerke ich, dass ich wieder schlechter schlafe, wird rigoros jeden Abend eine halbe Stunde meditiert. Kein Elend der Welt wird dadurch besser, dass ich nachts um 4 Uhr darüber grübele.
4. Therapie
Als es mir letztes Jahr schlecht ging und ich viele Register im Sinne von Regel Nr. 2 gezogen habe, habe ich mich um einen Therapieplatz bemüht und auch eine Therapeutin gefunden. Noch habe ich keinen festen Termin, sondern nur einen "Springerplatz", das heißt wenn jemand einen Termin absagt, kann ich den in Anspruch nehmen. Das tue ich dann auch immer, egal ob der mitten in die Arbeitszeit fällt oder nicht. Bisher hatte ich 6 Termine seit Sommer, was nicht viel ist, mir aber dennoch schon ganz enorm geholfen hat.
5. Ausprobieren und nicht von vorne herein aufgeben
Das Miese bei Depression ist natürlich, dass man an schlechten Tag denkt, dass das eh alles nichts bringt. Dass man nie einen anderen Job finden wird, keinen Therapieplatz, dass man seine Altlasten nie bewältigt etc.
Mir hilft es dann auch nicht "einfach positiv zu denken" (uaaaaahhh). Mir hilft es, die Dinge trotzdem anzuleiern, sprich TherpautInnen abzutelefonieren, Bewerbungen zu schreiben, Alkohol zu streichen. Auch wenn ich vielleicht davon überzeugt bin, dass es eh scheitern wird und nichts bringt - ich überliste mich damit, mir selber zu sagen, dass ich es dann ja wenigstens probiert hätte. Und bisher wurde ich dann doch immer positiv überrascht weil doch alles geklappt hat.
6. Hilfsmittel und Alltagsorganisation
Unser Alltag ist mit festen Zeiten, Essensplänen, Einkaufsapp, Putzplan und festgelegten Zuständigkeiten in der Care-Arbeit strukturiert und optimiert. Wir haben einen Staubsauerroboter, eine Babysitterin und eine Küchenmaschine, die kochen und rühren kann. Alles, was Aufwand und Arbeit spart wird genutzt. Alles, was helfen könnte, wird ausprobiert.
...
Die oben aufgeführten Dinge sind sozusagen das Gerüst, an dem ich mich immer wieder hochziehe. Es sind Dinge, die ich aktiv und praktisch tun kann, was mir als sehr lösungsorientierter Mensch hervorragend entgegen kommt.
Ich hoffe, dass ich in ein paar Monaten den nächsten Punkt mit dem Titel
7. Gefühle wirklich zulassen und verarbeiten (uaaaaahhhh)
hinzufügen und mit Leben füllen kann. Im Moment kann ich damit noch nicht so wahnsinnig viel anfangen, arbeite aber daran unter Berücksichtigung der Punkte 4 und 5.
1. Nutze die Hochs, respektiere die Tiefs.
An guten Tagen nutze ich die Energie und sorge sozusagen für schlechte Zeiten vor. Ganz oben auf der Liste steht dann Sport, vorzugsweise Laufen, weil ich festgestellt habe, dass mir das wirklich enorm hilft. Ebenso erledige an solchen Tagen verstärkt Haushaltsarbeiten, putze, koche vor, mache Wäsche, räume meinen Kram weg. Was gemacht ist, ist gemacht.
An schlechten Tagen schalte ich hingegen in einen Notbetrieb. Je nach Stimmungslage und Energie fallen Dinge weg oder werden an andere delegiert. Als erstes Haushaltsdinge, die verschoben werden können, als zweites soziale Verpflichtungen (gut, da gibt es in der Pandemie momentan nicht viel), als drittes Arbeit (im Sinne von Krankenschein) und als letztes Care-Arbeit.
In den letzten 5 Jahren bin ich lediglich bis zur Stufe Arbeit gekommen, und das auch nur kurz. Meist reicht es, Haushaltsdinge zu verschieben und mich abends ruhig mit einem Buch aufs Sofa zu hauen und eine halbe Stunde zu meditieren. An schlechten Tagen wird nicht geputzt, nicht gekocht und nur Wäsche gemacht, wenn wir sonst nichts zum Anziehen haben. Weil ich ja aber an den guten Tagen vorgesorgt habe, merkt man meist davon nichts, da entweder vorgekocht wurde, was in der Tiefkühltruhe oder im Vorrat ist, die Wäsche nicht überquillt und eh eine Grundordnung und Sauberkeit vorhanden ist. Das hilft mir auch, viel gelassener mit schlechten Tagen umzugehen, weil ich weiß dass höchstwahrscheinlich gar nichts hinten runter fällt, wenn ich mal einen Gang zurück schalte. Auch meinem Kind schadet es nicht, wenn es mal länger fernsehen darf, weil ich einfach zu platt bin um weiter zu spielen. Dafür wird dann an den guten Tagen wieder mehr gemacht.
Kraftakte an schlechten Tagen reißen oft für längere Zeit ein Loch in die Energiebilanz und sind daher zu vermeiden.
2. Ein Zusammenbruch ist mit allen Mitteln zu verhindern
Selbst wenn ich durch Krankenschein in der Probezeit meinen Job verliere, selbst wenn ich Beziehungskrach riskiere, selbst wenn ich mal ein paar Tage absolut egoistisch sein und zum Meditieren in ein Kloster fahren muss und mein Kind mich dann vermisst - das ist alles immer noch besser als ein Zusammenbruch. Denn dessen Konsequenzen sind in der Summe viel, viel schlimmer. Um letztes Jahr einen Zusammenbruch zu verhindern, habe ich mich krankschreiben lassen, bin ein Wochenende alleine weg gefahren, habe vorübergehend Arbeitszeit reduziert und sogar den Job gewechselt. Das war alles sehr risikobehaftet, aber immer noch besser als ein Zusammenbruch. Ich hätte auch wieder Medikamente genommen, wenn es nötig gewesen wäre. Einen Zusammenbruch mit stationärem Aufenthalt hatte ich schonmal, möchte ich nie wieder.
3. Stressoren, Frühsymptome, Gegenmaßnahmen identifzieren, Prioritäten setzen
Das hängt zusammen mit den ersten zwei Punkten. Ich habe eine Liste, wo wirklich brutal und ehrlich drauf steht was mir nicht gut tut, woran ich das merke und was dann zu tun ist. Derzeit bedeutet die Anwendung dieser Liste, dass ich Alkohol bis auf ganz besondere Gelegenheiten komplett gestrichen habe, weil ich einsehen musste, dass es mir überhaupt nicht gut tut. Das ist zwar hart und ich fluche alle paar Tage darüber, aber die Kosten- Nutzen- Rechnung geht einfach gar nicht auf. Ebenso bedeutet das, social media zu regulieren. Gehe ich abends am Handy scrollend ins Bett und greife ich morgens als erstes wieder zum Handy und scrolle durch die nächsten Katastrophen, hilft das nicht, im Gegenteil. Also wird das Smartphone abends um 20 Uhr ins Regal gelegt und erst morgens nach dem Frühstück wieder rausgenommen. Bemerke ich, dass ich wieder schlechter schlafe, wird rigoros jeden Abend eine halbe Stunde meditiert. Kein Elend der Welt wird dadurch besser, dass ich nachts um 4 Uhr darüber grübele.
4. Therapie
Als es mir letztes Jahr schlecht ging und ich viele Register im Sinne von Regel Nr. 2 gezogen habe, habe ich mich um einen Therapieplatz bemüht und auch eine Therapeutin gefunden. Noch habe ich keinen festen Termin, sondern nur einen "Springerplatz", das heißt wenn jemand einen Termin absagt, kann ich den in Anspruch nehmen. Das tue ich dann auch immer, egal ob der mitten in die Arbeitszeit fällt oder nicht. Bisher hatte ich 6 Termine seit Sommer, was nicht viel ist, mir aber dennoch schon ganz enorm geholfen hat.
5. Ausprobieren und nicht von vorne herein aufgeben
Das Miese bei Depression ist natürlich, dass man an schlechten Tag denkt, dass das eh alles nichts bringt. Dass man nie einen anderen Job finden wird, keinen Therapieplatz, dass man seine Altlasten nie bewältigt etc.
Mir hilft es dann auch nicht "einfach positiv zu denken" (uaaaaahhh). Mir hilft es, die Dinge trotzdem anzuleiern, sprich TherpautInnen abzutelefonieren, Bewerbungen zu schreiben, Alkohol zu streichen. Auch wenn ich vielleicht davon überzeugt bin, dass es eh scheitern wird und nichts bringt - ich überliste mich damit, mir selber zu sagen, dass ich es dann ja wenigstens probiert hätte. Und bisher wurde ich dann doch immer positiv überrascht weil doch alles geklappt hat.
6. Hilfsmittel und Alltagsorganisation
Unser Alltag ist mit festen Zeiten, Essensplänen, Einkaufsapp, Putzplan und festgelegten Zuständigkeiten in der Care-Arbeit strukturiert und optimiert. Wir haben einen Staubsauerroboter, eine Babysitterin und eine Küchenmaschine, die kochen und rühren kann. Alles, was Aufwand und Arbeit spart wird genutzt. Alles, was helfen könnte, wird ausprobiert.
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Die oben aufgeführten Dinge sind sozusagen das Gerüst, an dem ich mich immer wieder hochziehe. Es sind Dinge, die ich aktiv und praktisch tun kann, was mir als sehr lösungsorientierter Mensch hervorragend entgegen kommt.
Ich hoffe, dass ich in ein paar Monaten den nächsten Punkt mit dem Titel
7. Gefühle wirklich zulassen und verarbeiten (uaaaaahhhh)
hinzufügen und mit Leben füllen kann. Im Moment kann ich damit noch nicht so wahnsinnig viel anfangen, arbeite aber daran unter Berücksichtigung der Punkte 4 und 5.
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