Sonntag, 7. Februar 2021
Über Privilegien
Neulich haute eine Leserin einer Bloggerin einen Kommentar rein, der sinngemäß besagte, sie solle sich nicht über Überlastung beklagen, schließlich kümmere sich ihr Mann abends auch mal um die Kinder und sie hätte an dem besagten Tag bis halb acht schlafen können, da würden andere Leute nur von träumen. Das bezog sich auf einen Beitrag, in dem die Bloggerin einen schwierigen Morgen mit ihren Kindern beschrieb, an dem sie in Tränen ausbrach.

Netterweise haben viele viele KommentatorInnen die Bloggerin getröstet und geschrieben, dass es besonders aufgrund der aktuellen Situation nicht okay sei, jemanden sowas rein zu würgen. Ich schätze ebenfalls die Authentizität der Bloggerin, die damit zeigt, dass eben nicht eben nicht immer alles Büllerbü ist. Die Bloggerin schrieb darauf hin noch einen weiteren Beitrag zum Thema, in dem sie (zu Recht) darlegte, dass es auch mal okay sein muss zu jammern, obwohl man vielleicht ansonsten privilegiert ist.

Mich hat das zum Nachdenken gebracht. Ich lese das öfter, dass vor allem Mütter kritisiert werden, wenn sie davon berichten, dass es grade hart sei, sehr oft mit der Argumentation, sie wären in anderer Hinsicht so privilegiert. Komischerweise gibt es Väterblogger, die zum Teil schwierige Situationen mit den Kindern von der Wortwahl her viel krasser beschreiben, die so eine Kritik jedoch nicht abbekommen.

Ich halte es für sehr wichtig, sich seiner Privilegien bewusst zu sein. Das kommt meiner Meinung nach aber insbesondere da zum Tragen, wo ich im direkten Austausch mit Menschen stehe, die weniger privilegiert sind (z.B. wenn ich als Weiße mit PoC über Rassismus rede). Da ist es tatsächlich angebracht, als privilegierter Mensch die Klappe zu halten und der diskriminierten Person die Deutungshoheit zu überlassen.

Es ist Fakt, dass insbesondere Mütter strukturelle Diskriminierung erfahren. Ihnen wird schon in der Schwangerschaft die Kontrolle und die Hoheit über ihren eigenen Körper zum Teil entzogen, sie erfahren Gewalt unter der Geburt, werden ab Tag 1 kritisiert, teils für Dinge, die gar nicht in ihrer Kontrolle liegen. Sie übernehmen den überwältigen Anteil der Care-Arbeit, erfahren Nachteile im Beruf, ihr Erziehungsstil steht grundsätzlich jedermann zum Abschuss frei. Äußern sie, dass sie es vielleicht sogar bereuen, Kinder bekommen zu haben, ist der Shit storm gewiss. Gerne mit den unvermeintlichen Hinweis "Sei froh, dass Du überhaupt Kinder kriegen konntest, andere Leute sind unfruchtbar". Ja, vielen Dank auch.

Bei Vätern sind Witze à la "oh weia, meine Frau kriegt Zwillinge, ich fange jetzt mit dem Golfspielen an, damit ich möglichst wenig zu Hause bin" jedoch in der Regel folgenlos und stoßen wenig auf Kritik (und wenn, dann natürlich von überdrehten Emanzen, die keinen Spaß verstehen). Bezeichnet ein Vater seine Kinder als Teufelsbrut, wird gelacht. Bezeichnet eine Mutter ihre Kinder als Teufelsbrut wird schon ein Anruf beim Jugendamt in Betracht gezogen.

Was hat das jetzt mit dem Kommentar im Blog zu tun?

Dass es leider normal ist, dass sich Mütter untereinander vorrechnen, wer jetzt konkret stärker leidet und wer deswegen nicht jammern darf führt zu einer gefährlichen Verschiebung im Diskurs. Wenn ich mich nicht mehr frei ausdrücken und von meinen ganz persönlichen Erfahrungen berichten darf, weil ich sonst einen shit storm abkriege, wird das verfälschte Bild der ewig milde lächelnden, erduldenden Mutter weiter transportiert.

Das eigentliche Ziel, nämlich eine Gleichstellung von Müttern und einer gerechten Teilung von Care-Arbeit bleibt dann auf der Strecke. Es sollte ganz normal und kein Anlass für Neid sein, wenn eine Mutter an einem Morgen bis halb acht schläft und sich der Kindsvater sich an der Care-Arbeit beteiligt.

Natürlich treibt mich das Thema ganz persönlich um. Ich bin so privilegiert, wie man als Mutter in Deutschland nur sein kann - mein Mann und ich teilen uns die Care-Arbeit, ich bin finanziell unabhängig, ich arbeite in einem gut bezahltem Beruf. Der ist so gefragt, dass ich mir Diskriminierung nicht bieten lassen muss, sondern nur ein paar Bewerbungen schreiben und innerhalb von ein paar Wochen wechseln kann.

Dennoch ist auch für mich der Alltag oft belastend, z.B. wenn die Kita zu wegen Lock Down ist. Wenn ich grade eine depressive Episode habe. Wenn wie jetzt mein Mann unter ständiger Erschöpfung wegen Long-Covid leidet.

Ich will kein schlechtes Gewissen haben oder mit einem Shit Storm rechnen müssen, wenn davon erzähle oder schreibe. Auch nicht, wenn ich von den guten Dingen erzähle, die mir mein Privileg ermöglicht - wie z.B. dass heute die Babysitterin das Kind nachmittags außer Haus betreut, damit mein Mann und ich eine Atempause haben. Ich wünsche mir bei Müttern mehr Verständnis und gegenseitige Unterstützung, und auch Freuen füreinander, wenn etwas gut läuft.

Wenn etwas schlecht läuft, wünsche ich mir statt Kritik oder Durchhalteparolen hingegen viel viel öfter die Frage: " wo ist denn der Vater in der Situation? Warum ist er nie derjenige, der nachts mit dem Kind wach ist? Warum darf er im Home Office nicht gestört werden, aber Du?" Denn das ist doch das, woran es so oft hakt.

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