Mittwoch, 4. September 2019
Vom Rechtfertigungszwang
u_blues, 12:41h
Neulich wurde ein Artikel aus der Zeit Online in meiner Filterbubble diskutiert. Es ging um eine Mutter, die einen Eingewöhnungsversuch bei ihrem 1-jährigen Kind in der Kita abgebrochen hat, ihr Kind dann mit 3 vormittags in den Kindergarten gab und dafür Kritik zu hören bekam. In ihrem Artikel stellt sie die Sinnhaftigkeit von frühkindlicher Betreuung an sich in Frage. Das wurde dann wiederum in meiner Filterbubble - teils auch zu Recht - ziemlich hart auseinander genommen.
Erst wollte ich den Artikel gar nicht lesen, da ich diese Diskussionen müde bin und mich damit nicht auseinander setzen wollte. Warum habe ich meine Meinung dazu geändert? Nun, es gab auch Reaktionen auf den Artikel nach dem Motto "es ist nicht ok, wenn Steuerzahler dafür aufkommen müssen, dass Mütter weniger/gar nicht arbeiten gehen, weil sie ihr Kind nicht betreuen lassen wollen und z.B. deswegen aufstocken müssten oder später zu wenig Rente bekämen". Da kam ich dann ein wenig ins Grübeln. Denn es wird Eltern, vor allem Müttern, die ihre Kinder wiederum früh in die Betreuung geben ja auch oft vorgeworfen, sie würden nur egoistisch handeln, dem Kind Schaden zufügen und damit später der Gesellschaft Kosten verursachen etc. Mehr oder weniger direkt durfte ich mir solche Sprüche ja auch schon anhören.
Eins vorweg: Wenn die Eingewöhnung bei unserem Sohn auch so wie in dem Artikel beschrieben ausgesehen hätte, dass ein Trennungsversuch bereits am zweiten Tag (!) erfolgen sollte, hätten mein Mann und ich uns auch dagegen entschieden. Dann hätten er oder ich die Elternzeit weiter verlängert. Hätten wir wie die Autorin weiterhin viele Geschichten von Kitas mit Personalmangel gehört, wo schreiende Babies alleine gelassen werden, würden wir das Konzept Kita sehr wahrscheinlich ebenso kritisch betrachten wie die Autorin.
Dann dachte ich mir: Würde die Autorin des Artikel so eine starke grundsätzliche Haltung gegen Kita in frühem Alter einnehmen, wenn sie in ihrer Entscheidung so viel Gegenwind erhalten hätte? Wahrscheinlich nicht.
Meiner Meinung nach liegt da der Kern des Problems. Mütter gehören zu einer marginalisierten Gruppe in unserer Gesellschaft. Es ist komplett egal, wie sie sich entscheiden - es wird kritisiert. Bleibt man lange mit dem Kind zu Hause, ist man eine tumbe Hausfrau, die ihre Altersvorsorge gefährdet. Geht man mit einem unter 3-jährigen wieder Vollzeit arbeiten, ist man eine karrieregeile Rabenmutter, die ihrem Kind Schaden zufügt.
Es ist eine klassische gesellschaftliche Dynamik, dass Untergruppen von marginalisierten Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Funktioniert offenbar total gut: Anstatt dass sich Mütter zusammen tun und gemeinsam für mehr Gleichberechtigung kämpfen, werden die Hausfrauen und die arbeitenden Mütter gegeneinander ausgespielt.
Die tatsächlichen individuellen Umstände finden dabei keinerlei Berücksichtigung. Jede/r sieht sich genötigt, den eigenen Entwurf gegen die immerwährende Kritik zu verteidigen. Dabei wird eine klare Wertung vorgenommen, denn sonst könnte man die Überlegenheit der eigenen Entscheidung ja nicht untermauern.
Würde man ähnlich hitzig und ernsthaft verteidigen, warum man lieber Mandarinen als Orangen mag? Nein, weil es eine komplett irrelevante, individuelle Vorliebe ist.
Genauso würde ich mir das für viele Fragen der Kindererziehung und - Betreuung wünschen. Es gibt Kinder, die mit einem Jahr einfach noch nicht so weit sind, dass eine Vollzeitkita klappt. Es gibt Kinder wie meinen Sohn, bei dem die Eingewöhnung super geklappt hat, der jeden Tag 8,5 Stunden in der Kita verbringt und sich dort pudelwohl fühlt. Es gibt Mütter wie die Autorin des Zeit-Artikels, die sehr gerne den halben Tag mit ihrem Kleinkind verbringen. Es gibt Mütter wie mich, die sich besser auf ihr Kind einlassen können, wenn sie es werktags nur von 16.30 Uhr bis 19.30 Uhr sehen. Jegliche Verallgemeinerung kann finde ich echt nur in die Hose gehen.
Ich wünsche mir, dass die Reaktion auf den Satz "meine 2-jährige Tochter ist noch mit mir zu Hause" und den Satz "mein 1-jähriger Sohn geht Vollzeit in die Kita" gleich ausfällt, nämlich "ok, schön, dass es für Euch so funktioniert". Ich wünsche mir mehr gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche Lebensentwürfe, die mit unterschiedlichen Erfahrungen und Vorlieben und Gegebenheiten zu tun haben.
Wenn es diese verhärteten Fronten nicht mehr gäbe, könnten wir vielleicht auch besser gemeinsam für mehr echte Wahlfreiheit und ein Ende des Diskriminierung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt kämpfen.
Erst wollte ich den Artikel gar nicht lesen, da ich diese Diskussionen müde bin und mich damit nicht auseinander setzen wollte. Warum habe ich meine Meinung dazu geändert? Nun, es gab auch Reaktionen auf den Artikel nach dem Motto "es ist nicht ok, wenn Steuerzahler dafür aufkommen müssen, dass Mütter weniger/gar nicht arbeiten gehen, weil sie ihr Kind nicht betreuen lassen wollen und z.B. deswegen aufstocken müssten oder später zu wenig Rente bekämen". Da kam ich dann ein wenig ins Grübeln. Denn es wird Eltern, vor allem Müttern, die ihre Kinder wiederum früh in die Betreuung geben ja auch oft vorgeworfen, sie würden nur egoistisch handeln, dem Kind Schaden zufügen und damit später der Gesellschaft Kosten verursachen etc. Mehr oder weniger direkt durfte ich mir solche Sprüche ja auch schon anhören.
Eins vorweg: Wenn die Eingewöhnung bei unserem Sohn auch so wie in dem Artikel beschrieben ausgesehen hätte, dass ein Trennungsversuch bereits am zweiten Tag (!) erfolgen sollte, hätten mein Mann und ich uns auch dagegen entschieden. Dann hätten er oder ich die Elternzeit weiter verlängert. Hätten wir wie die Autorin weiterhin viele Geschichten von Kitas mit Personalmangel gehört, wo schreiende Babies alleine gelassen werden, würden wir das Konzept Kita sehr wahrscheinlich ebenso kritisch betrachten wie die Autorin.
Dann dachte ich mir: Würde die Autorin des Artikel so eine starke grundsätzliche Haltung gegen Kita in frühem Alter einnehmen, wenn sie in ihrer Entscheidung so viel Gegenwind erhalten hätte? Wahrscheinlich nicht.
Meiner Meinung nach liegt da der Kern des Problems. Mütter gehören zu einer marginalisierten Gruppe in unserer Gesellschaft. Es ist komplett egal, wie sie sich entscheiden - es wird kritisiert. Bleibt man lange mit dem Kind zu Hause, ist man eine tumbe Hausfrau, die ihre Altersvorsorge gefährdet. Geht man mit einem unter 3-jährigen wieder Vollzeit arbeiten, ist man eine karrieregeile Rabenmutter, die ihrem Kind Schaden zufügt.
Es ist eine klassische gesellschaftliche Dynamik, dass Untergruppen von marginalisierten Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Funktioniert offenbar total gut: Anstatt dass sich Mütter zusammen tun und gemeinsam für mehr Gleichberechtigung kämpfen, werden die Hausfrauen und die arbeitenden Mütter gegeneinander ausgespielt.
Die tatsächlichen individuellen Umstände finden dabei keinerlei Berücksichtigung. Jede/r sieht sich genötigt, den eigenen Entwurf gegen die immerwährende Kritik zu verteidigen. Dabei wird eine klare Wertung vorgenommen, denn sonst könnte man die Überlegenheit der eigenen Entscheidung ja nicht untermauern.
Würde man ähnlich hitzig und ernsthaft verteidigen, warum man lieber Mandarinen als Orangen mag? Nein, weil es eine komplett irrelevante, individuelle Vorliebe ist.
Genauso würde ich mir das für viele Fragen der Kindererziehung und - Betreuung wünschen. Es gibt Kinder, die mit einem Jahr einfach noch nicht so weit sind, dass eine Vollzeitkita klappt. Es gibt Kinder wie meinen Sohn, bei dem die Eingewöhnung super geklappt hat, der jeden Tag 8,5 Stunden in der Kita verbringt und sich dort pudelwohl fühlt. Es gibt Mütter wie die Autorin des Zeit-Artikels, die sehr gerne den halben Tag mit ihrem Kleinkind verbringen. Es gibt Mütter wie mich, die sich besser auf ihr Kind einlassen können, wenn sie es werktags nur von 16.30 Uhr bis 19.30 Uhr sehen. Jegliche Verallgemeinerung kann finde ich echt nur in die Hose gehen.
Ich wünsche mir, dass die Reaktion auf den Satz "meine 2-jährige Tochter ist noch mit mir zu Hause" und den Satz "mein 1-jähriger Sohn geht Vollzeit in die Kita" gleich ausfällt, nämlich "ok, schön, dass es für Euch so funktioniert". Ich wünsche mir mehr gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche Lebensentwürfe, die mit unterschiedlichen Erfahrungen und Vorlieben und Gegebenheiten zu tun haben.
Wenn es diese verhärteten Fronten nicht mehr gäbe, könnten wir vielleicht auch besser gemeinsam für mehr echte Wahlfreiheit und ein Ende des Diskriminierung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt kämpfen.
... comment