Dienstag, 18. Mai 2021
Über Feindbilder
u_blues, 11:33h
Neulich saß ich im Service-Wartebereich eines großen bayrischen Autohändlers mit blauweißem Logo und drei Buchstaben. Das Autohaus war einigermaßen gut besucht, und ich amüsierte mich ein wenig damit, Leute zu gucken.
Dann kam eine Frau mit einem Kind, wahrscheinlich ihrem Sohn (so ca. 5 Jahre alt) herein und sofort stellten sich mir die Nackenhaare auf. In mir machte sich eine heftige Antipathie breit. Der "lässige" Dutt hoch oben auf dem Kopf, die runde Brille, die Kombination aus "gewollt lässigen" Jeans, Sneakers und "höherer-Tochter" Strickjacke mit aufgestickten Perlen, dazu sehr sorgfältiges Make-up, aber natürlich im nude look - das alles schrie in einer Lautstärke nach einem gewissen Klientel, dass ich tatsächlich körperlich zusammenzuckte.
Man muss wissen, dass ich ein Gymnasium besucht habe, das hauptsächlich von den Kindern der "besseren" Gesellschaft frequentiert war. Schon als Teenager lösten in mir deren hoch kultivierte Rituale und Statussymbole zum Ausdruck der gesellschaftlichen Zugehörigkeit nicht nur Verwunderung, sondern auch Abneigung aus.
Natürlich wurde ich als Arbeiterkind ausgeschlossen. Natürlich lehnte ich die Codes auch deswegen ab, weil ich sie nicht kannte, nicht verstand und das Spiel folglich nicht mitspielen konnte.
Die Frau, die da zum Autohändler kam, hatte ich natürlich noch nie im Leben gesehen. Sie hatte mir nichts getan. Höchstwahrscheinlich hat sie selber nie so über Zugehörigkeitsmerkmale gesellschaftlicher Schichten nachgedacht und diese so analysiert, wie ich das mache. Höchstwahrscheinlich stylt sie sich schlicht so, weil es ihr so gefällt und sie damit gut in ihr Umfeld passt.
Als sich mein Puls ein bisschen beruhig hatte, versuchte ich sie neutraler zu beobachten. Sie war am Empfang ausgesprochen freundlich. Im Wartebereich holte sie ein Memory hervor und spielte das mit ihrem Sohn. Sie war dabei geduldig, aber bestimmt, liebevoll zugewandt und die Mutter-Kind-Beziehung, die sich so darstelle hätte wahrscheinlich bei den allermeisten BeobachterInnen 5 Sterne bekommen.
Es gab nichts, aber auch gar nichts, was objektiv ein Grund für meine heftige Antipathie hätte sein können. Nur meine schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit, die ich auf sie projiziert hatte.
Natürlich ist das umso lustiger, weil ich ja exakt im gleichen Wartebereich des exakt gleichen Autohauses exakt derselben Marke saß, die natürlich auch ein gewisses Image verkörpert. Genau das Image, das bei vielen Leuten auch eine sofortige, heftige Antipathie auslöst.
Ich habe viele, viele Jahre gebraucht um zu verstehen, dass manche unserer sofortigen Reaktionen auf andere Menschen weniger mit deren Charakter oder Verhalten zu tun haben. Sondern viel, viel mehr mit uns selber, unserer Geschichte und unserer Prägung.
Wir laufen mit ständigen Filtern durch die Welt. Triggert uns etwas oder jemand, lohnt es sich, einen Moment inne zu halten, zurück zu treten und sich zu fragen:
"Was regt mich jetzt daran so auf?"
"Hat das WIRKLICH etwas mit mir zu tun?"
Allzu oft spielen wir dann doch nur die Spiele vom Schulhof weiter. Zeigen mit dem Finger auf andere, machen uns über deren Frisur, Schuhe, Urlaubsort, Lebensweise, Kaffeegeschmack, Automarke, was auch immer lustig. Gerne natürlich auch im Rudel, denn über gemeinsame Zugehörigkeiten lassen sich andere natürlich schön ausschließen. Oder man kann sich so schön und schnell besser und erhabener fühlen.
Das ist nur menschlich, und es ist verständlich. Ob man damit auf Dauer glücklich wird, ist jedoch eine andere Frage.
Dann kam eine Frau mit einem Kind, wahrscheinlich ihrem Sohn (so ca. 5 Jahre alt) herein und sofort stellten sich mir die Nackenhaare auf. In mir machte sich eine heftige Antipathie breit. Der "lässige" Dutt hoch oben auf dem Kopf, die runde Brille, die Kombination aus "gewollt lässigen" Jeans, Sneakers und "höherer-Tochter" Strickjacke mit aufgestickten Perlen, dazu sehr sorgfältiges Make-up, aber natürlich im nude look - das alles schrie in einer Lautstärke nach einem gewissen Klientel, dass ich tatsächlich körperlich zusammenzuckte.
Man muss wissen, dass ich ein Gymnasium besucht habe, das hauptsächlich von den Kindern der "besseren" Gesellschaft frequentiert war. Schon als Teenager lösten in mir deren hoch kultivierte Rituale und Statussymbole zum Ausdruck der gesellschaftlichen Zugehörigkeit nicht nur Verwunderung, sondern auch Abneigung aus.
Natürlich wurde ich als Arbeiterkind ausgeschlossen. Natürlich lehnte ich die Codes auch deswegen ab, weil ich sie nicht kannte, nicht verstand und das Spiel folglich nicht mitspielen konnte.
Die Frau, die da zum Autohändler kam, hatte ich natürlich noch nie im Leben gesehen. Sie hatte mir nichts getan. Höchstwahrscheinlich hat sie selber nie so über Zugehörigkeitsmerkmale gesellschaftlicher Schichten nachgedacht und diese so analysiert, wie ich das mache. Höchstwahrscheinlich stylt sie sich schlicht so, weil es ihr so gefällt und sie damit gut in ihr Umfeld passt.
Als sich mein Puls ein bisschen beruhig hatte, versuchte ich sie neutraler zu beobachten. Sie war am Empfang ausgesprochen freundlich. Im Wartebereich holte sie ein Memory hervor und spielte das mit ihrem Sohn. Sie war dabei geduldig, aber bestimmt, liebevoll zugewandt und die Mutter-Kind-Beziehung, die sich so darstelle hätte wahrscheinlich bei den allermeisten BeobachterInnen 5 Sterne bekommen.
Es gab nichts, aber auch gar nichts, was objektiv ein Grund für meine heftige Antipathie hätte sein können. Nur meine schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit, die ich auf sie projiziert hatte.
Natürlich ist das umso lustiger, weil ich ja exakt im gleichen Wartebereich des exakt gleichen Autohauses exakt derselben Marke saß, die natürlich auch ein gewisses Image verkörpert. Genau das Image, das bei vielen Leuten auch eine sofortige, heftige Antipathie auslöst.
Ich habe viele, viele Jahre gebraucht um zu verstehen, dass manche unserer sofortigen Reaktionen auf andere Menschen weniger mit deren Charakter oder Verhalten zu tun haben. Sondern viel, viel mehr mit uns selber, unserer Geschichte und unserer Prägung.
Wir laufen mit ständigen Filtern durch die Welt. Triggert uns etwas oder jemand, lohnt es sich, einen Moment inne zu halten, zurück zu treten und sich zu fragen:
"Was regt mich jetzt daran so auf?"
"Hat das WIRKLICH etwas mit mir zu tun?"
Allzu oft spielen wir dann doch nur die Spiele vom Schulhof weiter. Zeigen mit dem Finger auf andere, machen uns über deren Frisur, Schuhe, Urlaubsort, Lebensweise, Kaffeegeschmack, Automarke, was auch immer lustig. Gerne natürlich auch im Rudel, denn über gemeinsame Zugehörigkeiten lassen sich andere natürlich schön ausschließen. Oder man kann sich so schön und schnell besser und erhabener fühlen.
Das ist nur menschlich, und es ist verständlich. Ob man damit auf Dauer glücklich wird, ist jedoch eine andere Frage.
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